Sie ist blond und sehr dünn und sehr konzentriert sitzt sie etwas hinter Igor Levit, der im Münchner Prinzregententheater um kurz nach elf Uhr nach einem
Lächeln in die Richtung der jungen Umblätterin mit seinem Spiel beginnt.
… Spiel… Es ist eine Reise, ein Trip, ein Spazieren, ein Wogen durch die Strassen unseres Planeten, durch Länder und Kontinente, durch Schönheit, Traurigkeit, Verzweiflung,
Heilung….
Durch unsere Fragilität, Kraft, Verletzlichkeit….
Durch unsre Dummheit, unsere Egoismen, unsere Großzügigkeit.…
Durch unser Wissen, unsere Beschränktheit, unser Hier-Sein, unser Mensch-Sein …
Atemlose Stille im Saal.
Ungewohnt soviel Nähe, alle Plätze besetzt.
Ist jede und jeder im Publikum sich der Freiheit bewusst, die ihnen der Pieks und die Maske und das Leben hier in Deutschland in diesen Zeiten bietet… Es fühlt sich so an…
Die aufwühlende Kraft des ganzkörperlichen Einsatzes von Igor Levit und von dieser Musik voller Zitate aus allen möglichen musikalischen Traditionen lasse ich bewusst mich
berühren, mich weit führen in die Erdschichten hinunter, in afrikanische Dörfer hinein, in Bachs Welt, und weit in den Kosmos hinauf….
Ein Fluss, ein Wiegen, ein Trommeln, ein Weinen, ein Tanzen, ein Kämpfen, ein Lachen... Liebe...
…eine 75-minütige „Passacaglia on DSCH“ für Klavier solo, aus den Jahren 1960-62, vom eigenwilligen Komponisten Robert Stevenson.
Standing Ovations für Igor Levit. Er verzichtet auf eine Zugabe. Er spielt auch nicht die Ukrainische Nationalhymne.
Alles ist gesagt.
Mit dem Rad durch den erwachenden Englischen Garten nach Hause. Das Isarrauschen klang ein bisschen nach Passacaglia...
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